Frequently Asked Question

Bäume in der Nähe von Grundstücksgrenzen oder Äste, die in Nachbarsgrundstück ragen, führen immer wieder zu Streitigkeiten zwischen benachbarten Personen. Wie kann ich mich gegen überhängende Äste wehren, und wer ist in diesem Zusammenhang für das Laub in der Dachrinne verantwortlich?

MAG. RUDOLF NORTH: Die von einem Baum ausgehende Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks z. B. in Form eines Überhangs konnte lange Zeit2 nicht untersagt werden3. Ein Betroffener konnte sich bis zum Jahr 2004 nur im Rahmen der Bestimmungen des § 422 ABGB4 wehren. Er konnte und kann5 die Wurzeln eines fremden Baumes aus seinem Boden reißen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen, z. B. das Obst ernten. Er hatte bis zum Inkrafttreten des Zivilrechts-Änderungsgesetzes 20046 den durch einen Überhang entstehenden Bewuchs wie die natürliche Umgebung hinzunehmen7 und konnte den Nachbarn nicht zwingen, den Überhang zu entfernen - ein Immissionsabwehranspruch8 wurde von der Judikatur stets abgelehnt9. Die Abwehr einer unzulässigen Einwirkung durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche Einwirkungen (Immission) ist ein besonderer Anwendungsfall der Eigentumsfreiheitsklage. Wobei unmittelbare Zuleitungen10 unter allen Umständen vom Nachbarn abgewehrt werden können, wenn dafür kein besonderer Rechtstitel (z. B. eine Vereinbarung) vorliegt. Ist eine Immission erfolgt, so kann vom Verpflichteten die Unterlassung künftiger Beeinträchtigung, die Beseitigung und Schadenersatz gefordert werden. Die Art, wie dies zu geschehen hat, bleibt dem Verpflichteten überlassen11.

 

IMMISSIONSABWEHRANSPRUCH

Die Judikatur hat nach der Neuregelung durch das ZivRÄG 2004 mehrfach ausgesprochen, dass ein Immissionsabwehranspruch nach § 364 Abs 2 oder 3 ABGB neben dem Recht der Selbsthilfe (d. h. Wurzeln aus seinem Boden reißen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden) jedenfalls dann besteht, wenn die Beeinträchtigung unter Bedachtnahme auf das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot12 die ortsübliche Benutzung des Grundeigentums wesentlich beeinträchtigt und einen unzumutbaren Zustand herbeiführt, der nicht durch eine leichte und einfache Ausübung des Selbsthilferechts beseitigt werden kann13. Kleine überhängende Äste können einfach vom Betroffenen selbst abgeschnitten werden, für große Äste ist es meist ratsam, einen Experten - unter Überwälzung der gesamten notwendigen Kosten auf den Störer14 - in Anspruch zu nehmen.

 

UMSTÄNDEN DES EINZELFALLS

Bei der Beurteilung der Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls die ernste Besorgnis einer Gefährdung vorliegt, sind deren Eintrittswahrscheinlichkeit, das Ausmaß der zu erwartenden Rechtsgutverletzung und die Bedeutung des bedrohten Rechtsguts im Sinn eines beweglichen Systems zu berücksichtigen. Je wertvoller das (potenziell) bedrohte Rechtsgut ist, desto eher ergibt eine Interessenabwägung, dass der potenzielle Schädiger auch Handlungen zu unterlassen hat, die nur mit einiger Wahrscheinlichkeit den schädlichen Erfolg herbeiführen können15. Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn16. Die Frage nach der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ist vom Standpunkt eines verständigen Durchschnittsmenschen aus zu beantworten, der auch auf die allgemeinen Interessen und gesellschaftlich bedeutsamen Gesichtspunkte wenigstens Bedacht nimmt. Der Interessenausgleich erfordert von beiden Seiten gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz, um einen akzeptablen Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden17.

Wenn z. B. große Äste in das Grundstück des Nachbarn hineinragen und dadurch eine Gefährdung für Personen und Sachen begründet wird, kann laut OGH kein Zweifel daran bestehen, dass es sich dabei um eine unzulässige unmittelbare Zuleitungen im Sinne des § 364 ABGB handelt, die nicht geduldet werden muss. Falls nun der Baumeigentümer nicht die notwendigen baumpflegerischen Maßnahmen durchführt, hält dieser dadurch den in das Nutzungsrecht des Eigentümers eingreifenden Zustand weiterhin aufrecht18, so führt dieses widerrechtliche Verhalten einen das Eigentumsrecht der Nachbarn beeinträchtigenden Dauerzustand herbei, dessen Beseitigung der Nachbar verlangen kann19.

 

LAUB UND NADELN

Herabfallendes Laub und Nadeln, die eine gelegentliche Reinigung der Dachrinne erforderlich machen, stellen gemessen an den örtlichen Verhältnissen idR20 jedoch keine wesentliche Beeinträchtigung dar" und müssen daher nicht vom Baumbesitzer selbst oder auf seine Kosten gereinigt werden. Selbst die abstrakte Gefahr, dass es bei einem Unterbleiben dieser Reinigung (auch) wegen der Laub- und Nadelimmissionen` zu einer Verstopfung der Dachrinne und in weiterer Folge bei andauerndem Überlaufen zu Feuchtigkeitsschäden im Mauerwerk kommen könnte, ist kein Grund, eine wesentliche Eigentumsbeeinträchtigung anzunehmen.

 

 

1) Änderung durch das ZivRÄG 2004

2) § 364 Abs. 2 ABGB

3) „Jeder Grundeigentümer kann die Wurzeln eines fremden Baumes aus seinem Boden reißen und die über seinem Luftraume hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen."

4) „Selbsthilfe" bzw. die Nutzung wurde so weit eingeschränkt, als der Beeinträchtige sein Recht möglichst umweltschonend gebrauchen muss.

5) ZivRAG 2004 BGBl 1 Nr. 91/2003

6) Es besteht keine grundsätzliche Verpflichtung des Grundeigentümers, die Wurzeln und Äste seiner Bäume und Sträucher stets so rechtzeitig abzuschneiden, dass sie nicht über die Grenze wachsen.

7) gem. § 364 Abs. 2 ABGB

8) RS0011097

9) § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB

10) R50010566

11) Für das gesamte Nachbarrecht des ABGB wurde ein „nachbarrechtliches Rücksichtnahmegebot" statuiert, das die in einem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis stehenden Grundeigentümer ausdrücklich dazu verpflichtet, auch die legitimen Interessen des anderen zu beachten und zu berücksichtigen. RV 173 B1gNR 22. GP 13

12) 40b96/llp

13) 40b 196/07p

14) R50120703

15) 1 Ob 73j05z

16) 8 Ob 128109w

17) 40b43/11v

18) RS0079560

19) Diese Beurteilung hängt von den örtlichen Gegebenheiten und damit von den Umständen des Einzelfalls ab.

20) 4 Ob 96/1p

21) Laub und Nadeln sind keine grobkörperlichen Einwirkungen wie etwa Tennisbälle, Baumstämme oder Erdmassen, die nach § 364 Abs. 2 Satz 2 ABGB unabhängig von ihrer Ortsüblichkeit und Wesentlichkeit untersagt werden können (RS0010613).

 

Quelle: OIZ vom Jän 2014, Mag. Rudolf North, MBA, (Geschäftsführer der Fachgruppe Wien der Immobilien- und Vermögenstreuhänder)